Religion versus Tierschutz

Offener Brief an Stefan Laurin und Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, in Bezug auf deren Artikel in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN, Ausgabe
vom 22. August 2019

 

Sehr geehrter Herr Fürst, sehr geehrter Herr Laurin,

hiermit beziehe ich mich auf Ihrer beider Artikel, erschienen in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN, Ausgabe vom 22. August 2019.

Man muss es zweimal lesen, um es glauben zu können. Da entrüsten sich Vertreter des jüdischen Glaubens in Deutschland, wenn Menschen hierzulande das Schächten von Tieren – also betäubungsloses Schlachten, konsequent ablehnen. Der Vorstoß, das Schächten nicht mehr zuzulassen, kam von der CDU-Landtagsfaktion in Niedersachsen. Offenbar traut man vonseiten der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland der CDU keine eigene Fähigkeit zur Meinungsbildung zu. Von Ihnen, Herr Laurin, wird der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, wiedergegeben, wonach die niedersächsische CDU-Fraktion damit lediglich der AfD folge. Könnte es nicht sein, dass die niedersächsischen CDU-Abgeordneten aus Gewissensgründen und eigener Einsicht nicht damit einverstanden sind, dass Tieren ohne Betäubung die Kehle durchgeschnitten wird, unabhängig von der AfD?

Jeder der sich gegen diese Tierquälerei ausspricht, handelt angeblich nur aus niederen Gründen der Feindseligkeit gegenüber bestimmten Religionen. Dass einige Leute, ob Politiker von der CDU, der AfD und andere Menschen den im Grundgesetz verankerten Tierschutz gewahrt sehen wollen beziehungsweise ihre eigenen Werte verteidigen, wird von den Vertretern dieser Religionen hartnäckig geleugnet. Sie stellen damit die eigenen religiösen Vorstellungen über die Werte anderer. Das ist nicht hinnehmbar.

Dass es Menschen gibt, die kein Verständnis dafür haben, dass Gottes Geschöpfe in einer barbarischen, nicht nachvollziehbaren Handlung unnötigerweise misshandelt zu Tode kommen, wird bewusst übersehen.

Wenn man selbst keine vernünftigen Erklärungen auf seiner Seite hat, wird gerne, wie nun in Ihrer Darstellung, Herr Laurin, auf den Nationalsozialismus und die Zeit ab 1933 Bezug genommen; das ist billig. Sie tun das, indem Sie auf Volker Beck verweisen, der wiederum in Erklärungsnot sein muss, da er als Bündnis-Grüner und somit als Mitglied einer Umwelt- und Tierschutzpartei auf andere Weise nicht rechtfertigen kann, weshalb der Tierschutz weniger Gewicht haben soll als das vorgebliche „Recht“ von Religionen. In so einem Falle holt man das abgewetzte Schwert des Nationalsozialismusbezuges hervor, um Menschen anderer Ansicht das Wort zu nehmen oder sie aus dem Diskurs auszuschließen – ein altbekanntes Muster.

Religion kann und darf sich bei uns nicht über Tier- oder Menschenrechte oder die allgemeinen Sitten hinwegsetzen. Dies gilt ebenso für die Verstümmelung männlicher Säuglinge und Kinder, die „Genitalbeschneidung“. Derartige Akte der Grausamkeit haben nach der Ansicht human denkender Menschen, ebenso wie das Schächten, nichts mit Religionsausübung zu tun, sondern sind schlichtweg ethisch nicht vertretbar und verletzen verfassungsgemäße Grundrechte. Weil diese Grundrechte wertvolle Errungenschaften unserer Zivilisation darstellen und wir in einem säkular ausgerichteten Staate leben, können wir Sonderregelungen für Religionen, die gegen unsere Grundwerte verstoßen, konsequenterweise nicht hinnehmen. Dies bedeutet auch, dass es keine Ausnahmeregelungen geben darf, denn jede grausame Handlung ist eine zu viel, und Ausnahmen verbieten sich somit von selbst.

Herr Fürst, Sie erklären, betäubungsloses Schächten sei „gerade keine Tierquälerei“; dies wird von Tierärzten und anderen Beobachtern ganz anders gesehen.

Dass in Schlachthöfen Missstände herrschen und häufig nicht ordentlich gearbeitet wird, finde ich ebenfalls nicht hinnehmbar, und es gibt auch hier vieles dringend zu verbessern. Aber damit sollte nicht von der eigentlichen Frage des Schächtens abgelenkt werden.

Wäre es nicht an der Zeit, dass die Religionsgemeinschaften, die hier in Deutschland Freiheit erleben, dabei aber objektiv mit ihrem Religionsverständnis teilweise humanistische Vorstellungen und die hiesigen Werte missachten, darüber nachdenken, bestimmten überkommenen Ritualen eine klare Absage zu erteilen und somit weiteres Leid verhindern? Viele furchtbare religiöse Sitten und Gebräuche wurden im Laufe der Jahrhunderte abgeschafft oder gemildert.

Unsere Forderung kann nur lauten: Es ist an der Zeit, dass einige Religionen daran arbeiten, sich weiter zu reformieren und ihre Vorschriften und Gepflogenheiten ändern!

Mit freundlichen Grüßen

Detlev Spangenberg, MdB

Archiv

Diese Seite verwendet Cookies. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung